Prof. Morgan Powell, Franklin College, Switzerland
"Mirror of Virgins or Mirror of Instruction?
Enclosure, Collatio and Women's Instruction in the Speculum Virginum"
Die Seelsorge und der Unterricht für weibliche Religiosen, welche ab dem
dreizehnten Jahrhundert als cura monialium gehandelt werden, kommen in der
Forschung zum zwölften Jahrhundert als Thema eher selten vor. Die Quellenlage
zum monastischen Leben der Frauen vor 1200 ist allgemein mangelhaft, und
religiöse Schriften von Frauen selbst sind in der selben Zeit allein durch sehr
wenige, wenn überaus wichtige, Ausnahmen vertreten.
Nichtsdestoweniger bleiben
die Jahrzehnten um 1150 ausschlaggebend in der Herausbildung einer
geschlechtsdifferentzierten Spiritualität. In dieser Zeit verfasste Abelard
seine Briefe, Predigte und liturgischen Schriften für die Nonnen des Paraclete,
die ersten für Frauen konzipierten Hoheliedkommentare wurden verfasst, und mit
den visionären Schriften von Hildegard von Bingen und Elisabeth von Schönau ist
das Modell für die Schriften der späteren Frauenmystik im wesentlichen schon
vorgeprägt. In der Zeit vor 1140 erscheint mit dem Speculum virginum auch das
erste universelle Modell des weiblichen monastischen Lebens.
Mein Vortrag
untersucht den Speculum virginum als Modell pastoraler Praxis in der
Unterweisung von weiblichen Religiosen. Das Werk, das aus zwölf Teilen und
einem Zyklus von ebensovielen Bildern besteht, findet als Dialog zwischen einem
Magister und seiner Schülerin statt. Meine Fragestellung gilt dem Wert des
Dialoges as Darstellung der Lehrpraxis, und versucht darzulegen, dafl das Werk
ebenso sehr als Destillierung der eigentlichen Lehrerfahrung wie als
idealisierendes Vorbild gesehen werden sollte. Die idealisierende Darstellung
des Dialogs dient dem Vorsatz, ein über die Grenzen der verschiedenen Orden
hinaus einsetzbares Modell zu schaffen, und soll den eigentlichen Lesern, den
männlichen magistri, als Spiegel des eigenen Unterrichts dienen. Das Werk
avanciert zum "Spiegel" der sich herausbildenden Praxis der cura monialium.
Diese Schluflfolgerung stellt einige Aspekte unserer Einschätzung der
Möglichkeiten zur zwischen-geschlechtlichten Interaktion in mittelalterlichen
monastischen Gemeinschaften in Frage. Nach sonst häufig zitierten Quellen zu
urteilen, müsste Gespräch zwischen Männern und Frauenäuflerst selten, und dann
nur durch das Eisengitter von sehr kleinen Fenstern vorgekommen sein; allein der
Priester betrat den Bereich der weiblichen Klausur, und dann nur um die
Totenweihe durchzuführen. Das Speculum virginum dagegen, von einem anderen,
sicherlich nicht minder idealisierenden Extrem gesehen, betrachtet den häufigen
und ausführlichen mündlichen Austausch zwischen magister und Schülerinnen als
notwendige und priviligierte Vermittlung des Logos. Mein letzter Gesichtspunkt
betrifft also den heuristischen Wert der idealisierenden Darstellung von
schriftlichen Quellen für unsere Rekonstruktion des mittelalterlichen
monastischen Lebens, insbesondere wo diese sich mit dem Bereich
zwischengeschlechtlicher Interaktion befasst.